Bydgoszcz 2015

Besuch in Bydgoszcz - Marburger Juristen gedenken der NS-Justizopfer in Polen

In der Zeit vom 10.09.2015 bis 14.09.2015 besuchten 45 polnische und deutsche Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte gemeinsam die polnischen Städte Bydgoszcz (Bromberg) und Torun (Thorn). Es handelt sich seit 2006 bereits um die zehnte Studienreise, die der Deutsch-Polnische Juristenverein Walbrzych-Marburg e.V. organisierte, um fachlichen Austausch und Völkerfreundschaft zu fördern.

Auf den Tag genau 76 Jahre nach der Gründung des Sondergerichtes in Bromberg – dem vermutlich berüchtigsten der Nationalsozialisten – gedachten die Juristen beider Länder den Opfern der NS-Justizverbrechen durch Niederlegung eines Kranzes an dem dafür geschaffenen Denkmal vor dem Rathaus der Stadt Bydgosczc. Die beiden auf deutscher Seite tätigen Vereinsvorsitzenden Mirko Schulte und Dr. Wolfgang Berensmann betonten dabei die beständige Notwendigkeit, auch ein knappes Menschenleben nach den Ereignissen um Verzeihung und Versöhnung zu bitten.

Zuvor hielt der Marburger Dr. h.c. Georg D. Falk, bis Ende 2014 Vorsitzender Richter am OLG Frankfurt/Main, in dem voll besetzten Sitzungssaal des Rathauses einen Vortrag mit dem Thema „Die Rechtsprechung des Sondergerichts Bromberg – gewidmet dem Gedenken an die Opfer der deutschen Justiz 1939 bis 1945". Insbesondere auf der Grundlage von Urteilen, die der Brandenburger Jurist Gerd Weckbecker für seine 1998 erschienene Promotionsarbeit gesammelt hatte, stellte Falk konkrete Fälle und die Schicksale von Opfern des Sondergerichts Bromberg vor. Dieses Gericht wurde von Roland Freisler persönlich am 10.09.1939 eröffnet. Es diente in den ersten Jahren der Besatzung vor allem als Instrument der Rache der Nationalsozialisten für zu Beginn des deutschen Überfalls auf Polen verübte Pogrome gegenüber der deutschen Minderheit (in der NS-Propaganda als „Bromberger Blutsonntag" bezeichnet). Noch bis ins Frühjahr 1945 war dieses Gericht, das in den fünf Jahren seiner Existenz mehr als 300 Todesurteile verhängte, Teil des gezielten Terrors gegen die polnische Bevölkerung.

Unter den Zuhörern befand sich neben dem Stadtverordnetenvorsteher und der stellvertretenden Bürgermeisterin u.a. der deutsche Honorarkonsul Dr. Jaroslaw Kuropatwinski.Vor allem aber hatte die Ankündigung in den Bromberger Zeitungen dafür gesorgt, dass sich mehrere Zeitzeugen und Historiker eingefunden hatten. Darunter war auch der 89-jährige Henrik Skrzypnik. Er hatte nach eigenen Angaben als 13-jähriger die Gewalt gegen Angehörige der deutschen Bevölkerung und die Rache der SS selbst miterlebt. Der in Bydgoszcz immer noch als Reiseführer tätige rüstige Herr beeindruckte in fließender deutscher Sprache die Besucher mit seinen Berichten und sparte dabei auch nicht mit Lob für die Veranstaltung: „Seit über 50 Jahren erlebe ich Besuchergruppen, aber einen solchen Blickwinkel und eine solch würdige Geste habe ich hier noch nicht erlebt“. Positive Resonanz war am Tag darauf auch der Presse der Stadt Bydgoszcz zu lesen. Der polnische Historiker und Buchautor Wiesław Trzeciakowski übereichte dem Vereinsvorsitzenden Maciej Ejsmont eines seiner jüngeren Bücher mit dem Titel „Der Tod in Bydgoszcz 1939 bis 1945“.
Der weitere Aufenthalt diente mit Besuchen in Torun und Chelmno der Pflege vieler inzwischen gewachsener enger persönlicher Freundschaften und dem fachlichem Austausch. Neben aktuellen strafrechtlichen Fragen der Vorratsdatenspreicherung und der Sicherungsverwahrung drehte sich natürlich besonders viel um das aktuelle Thema Flüchtlinge.

In dem Verein engagieren sich über 70 Mitglieder aus beiden Ländern. Als Vorsitzende des Vorstands fungieren der Richter am Bezirksgericht Maciej Ejsmont aus Walbrzych, der Direktor des Amtsgerichts Biedenkopf Mirko Schulte und der ehemalige stellvertretende Direktor des Amtsgerichts Marburg, Dr. Wolfgang Berensmann. Schatzmeister ist der Rechtsanwalt Stefan Adler und Geschäfts- und Schriftführerin die wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Adrianna Michel. Der Vorstand wurde einstimmig in der am 13.09.2015 in Chelmno (Kulm) durchgeführten Mitgliederversammlung für zwei weitere Jahre in seinem Amt bestätigt. Als neues Mitglied des insgesamt 10-köpfigen Vorstandes wurde der Vizepräsident des Landgerichtes Marburg, Dr. Carsten Paul, gewählt.

VRiOLG Dr. h.c. Georg Falk und der Erste Vorsitzende Maciej Ejsmont im Rathaus der Stadt Bydgosczc